Ein suspekter Inspektor

Buchtitel: Tokio im Jahr Null
Autor: David Peace. Aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg. Gelesen von Manfred Zapatka [Gekürzte Lesung]
Verlag, Erscheinungsjahr: OSTERWOLD audio bei Hörbuch Hamburg, 2010
ISBN 978-3-86952-058-2

David Peace ist einer der großen Pessimisten vor dem Herrn und dieser erste Band der sogenannten „Tokio-Trilogie“ erwartungsgemäß auch ein ziemlicher Runterzieher. Peace hat anderthalb Dezennien in Japan verbracht und lebt heute mit seiner japanischen Frau wieder in England.
In diesem Roman gibt es keine einzige sympathische Figur und selbst der Protagonist der Handlung, Inspektor Minami, der einen Serienmörder zu überführen trachtet, just in dem Augenblick, da das große Morden sein offizielles Ende gefunden hat (Sommer 1945), wächst einem auch nicht wirklich ans Herz. Seine Erkenntnis „Niemand ist der, der er zu sein vorgibt“ gilt letztlich auch für ihn selbst. Unter den chaotischen Verhältnissen der unmittelbaren Nachkriegszeit verabschieden sich Personen von ihrer blutbefleckten Vergangenheit, indem sie unter Namen von Verstorbenen neue Identitäten annehmen. ‚Persilschein’ auf japanisch, derweil die Sieger Kriegsverbrechern, denen sie habhaft werden, den Prozess machen oder für eigene Interessen dienstbar. Zermürbt zwischen der eingeforderten Loyalität zu undurchsichtigen Vorgesetzten und den Verpflichtungen gegenüber einer Unterweltgröße, die den lokalen Schwarzmarkt dominiert, verzerrt sich für den Inspektor die Gegenwart immer mehr zu einem Fortwirken der schaurigen Vergangenheit. Die verabreichten ‚Calmotin’ beruhigen ihn nur für Momente.
David Peace schildert das Wüten der Kempeitai, die Grauslichkeiten gegen Nicht-Japaner in Japan selbst, das reflexartige Vergessen, die Anbiederung an die neuen Verhältnisse und ihre Opfer, sowie das schier unglaubliche Elend in einem ruinenhaften Tokio. Sozusagen nebenher spürt er nach, wie viele Menschenleben der Krieg noch gekostet hat, nachdem der Krieg bereits vorbei war.
Manfred Zapatka trägt die Stimme des Ich-Erzählers im Ton sonorer Ernüchterung – wahrlich unter die Haut gehend!



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